Datum: 
03.07.2014
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Aus dem Buch von Ǧamālu d-dīn ibn al-Ḥussein al-Aslāfī: „Mastūr al-ifādah bi-mā yuʿīnu ʿalā l-ḥuḍūri fi l-ʿibādah“
(Übersetzt von M. Kellner)

Der zweite Abschnitt (gemäß der Einteilung von al-Ghazzali) über die Geheimnisse des Fastens und seine inneren Bedingungen

Wisse: 
Fasten hat drei Stufen

1) Das normale Fasten
2) Das spezielle Fasten
3) Das speziellste Fasten

ad 1) Das normale Fasten bedeutet, sich der (Befriedigung der) Gelüste des Bauches und der Geschlechtsorgane zu enthalten, so wie das bereits beschrieben wurde.

ad 2) Das spezielle Fasten bedeutet, sich aller Sünden zu enthalten, welche den Gehörsinn, das Sehen, das Sprechen, Hände und Beine und allen anderen Körperorgane betreffen.

ad 3) Das speziellste Fasten bedeutet, sein Herz freizuhalten von allem weltlichen Kummer und allen Gedanken, die mit der vergänglichen Welt zusammenhängen, so dass man sich von allem außer Allah subhanahu wa ta'ala enthält.

Das Fasten auf dieser Stufe wird dann gebrochen, wenn man sich innerlich irgend etwas Anderem außer Allah ta'ala und den jüngsten Tag zuwendet, oder wenn man an irgendwelche weltlichen Dinge denkt - es sei denn, es handelt sich um jene weltlichen Angelegenheiten, die ein Mittel der Religion sind - denn dies gehört zum Proviant des Jenseits, nicht des Diesseits. 
So wurde von manchen gesagt: Wer sich untertags in seinem Inneren damit beschäftigt, wie er das Essen für das Fastenbrechen des heutigen Tages erlangen kann, dem wird dies als ein Fehler verzeichnet. Denn dies deutet auf mangelndes Vertrauen auf Allah und Seine Großzügigkeit, und auf mangelnde Gewissheit in Bezug auf die versprochene Versorgung.
Dies ist die Stufe der Gesandten und Aufrichtigen und derer, die Ihm nahe sind, und wir wollen uns damit nicht lange aus theoretischer Sicht beschäftigen, sondern mit der tatsächlichen Praxis, denn sie stellt die völlige Hingabe an Allah, die Abwendung von allem, was nicht ER ist, und die Verwirklichung der Aussage Allahs dar: "Sag: (Von) Allah. Sodann lasse sie mit ihren schweifenden Gesprächen ihr Spiel treiben". al-Anʿām 91   
Was aber das spezielle Fasten betrifft -dies ist das Fasten der Rechtschaffenen- so handelt es sich um das Vermeiden von äußeren Sünden, und dies hat sechs Aspekte:

1) Das Senken der Blicke, in dem man vermeidet, etwas anzublicken, was verabscheut oder verpönt ist, und was das Herz beschäftigt und einem vom Gedenken an Allah 'azza wa jall ablenkt. Der Gesandte Allahs sallAllahu alayhi wa sallam hat gesagt: Der Blick ist ein vergifteter Pfeil der Pfeile von Iblis, und wer ihn (den Blick) aus Angst vor Allah 'azza wa jall sein lässt , dem schenkt Allah (eine Stufe von) Glauben, dessen Süße er in seinem Herzen finden wird."
Jabir berichtete von Anas radiyAllahu anhuma, dass der Gesandte Allahs sallAllahu alayhi wa sallam sagte: "Fünf Dinge brechen das Fasten; Lüge, üble Nachrede, Verleumdung, falscher Schwur sowie lustvolle Blicke."

2) Die Zunge zu schützen von Geschwätz, Lüge, übler Nachrede, Verleumdung, ordinärer Rede, Grobheit, Streit und leeren Debatten - und sie (stattdessen) an das Schweigen zu binden, bzw. sie mit dem Gedenken an Allah und dem Rezitieren des Qurans zu beschäftigen - und dies ist das Fasten der Zunge. Sufyān al-Thawri (rahimahullah) sagte: "Üble Nachrede verdirbt das Fasten" - dies wurde von Bishr ibn al-Ḥārith (rahimahullah) überliefert.
Und so wurde von Layth von Muǧāhid (rahimahumAllah) überliefert: Zwei Dinge machen das Fasten ungültig: "Üble Nachrede und Lügen"
Der Prophet (sallAllahu alayhi wa sallam) sagte: "Wahrlich, das Fasten ist (wie) ein Schutz, und wenn jemand von euch fastet, soll er nichts schlechtes und Dummes sagen, und wenn ihn jemand angreift oder beschimpft, dann soll er zwei oder drei mal sagen 'Ich faste'. "
Es wird überliefert, dass zwei Frauen in der Zeit des Propheten sallAllahu alayhi wa sallam gefastet haben, und Hunger und Durst haben sie am Ende des Tages vollkommen erschöpft, und so haben sie jemandem zum Gesandten (sallAllahu alayhi wa sallam) geschickt mit der Bitte, dass er ihnen das Fastenbrechen erlaubt. Er schickte mit dem Boten ein Gefäß und sagte: "Sag ihnen, sie sollen darin erbrechen, was sie gegessen haben." Die eine von ihnen erbrach darin frisches Blut und Fleisch, und die andere ebenso, bis das Gefäß voll war. Die Leute wunderten sich darüber, da sagte der Gesandte Allahs: "Diese beiden haben von dem, was Allah ihnen erlaubt hat, gefastet, und haben ihr Fasten mit dem gebrochen, was Allah ihnen verboten hat, denn sie haben einander zu Mittag besucht und begonnen, schlecht über andere zu sprechen - und das hier ist das, was sie vom Fleisch dieser Menschen gegessen haben."

3) Seinen Gehörsinn zu bewahren, dem zuzuhören, was verpönt ist - denn es ist verboten, das zu hören, was zu sprechen verboten ist. Aus diesem Grund hat Allah dem, der zuhört mit denen gleichgestellt, die Unrechtmäßig erworbenes Gut verwenden:
" (sie), die auf Lügen horchen, und die darauf aus sind, unrechtmäßig Erworbenes zu verschlingen."  al-Mā‘dah 43
Und Allah sagt: 
"Warum verbieten ihnen die Leute des Herrn und die Gelehrten nicht die sündhaften Worte und das Verschlingen von unrechtmäßig Erworbenem?"  al-Mā‘ida (63)
Bei übler Nachrede zu schweigen (zuzuhören) ist haram.
Allah sagt ebenfalls: "Wenn ihr hört, dass man Allahs Zeichen verleugnet und sich über sie lustig macht, dann sitzt nicht mit ihnen (zusammen), bis sie auf ein anderes Gespräch eingehen. Sonst seid ihr ihnen gleich."
Und in diesem Sinn sagte der Prophet (sallAllahu alayhi wa sallam): "Derjenige, der üble Nachrede begeht, und derjenige, der zuhört, sind beide Teilhaber an der Sünde."

4) Seine Hände und Füße und alle Körperteile von Sünden zu bewahren, ebenso seinen Bauch zur Zeit des Fastenbrechens von Zweifelhaftem freizuhalten - denn es macht keinen Sinn, vom dem zu fasten, was Halal ist, um dann mit dem sein Fasten zu brechen, was Haram ist. Essen, welches Halal ist, schadet nur, wenn es zu viel ist, und das Fasten ist ein Mittel, es zu verringern. Welche Dummheit begeht jemand, der die Dosis eines Heilmittels reduziert, um stattdessen Gift einzunehmen? Essen, das haram ist, ist ein Gift, das die Religion zerstört. Halal-Essen hingegen ist in kleiner Menge nützlich, während es in großer Menge schadet - und das Ziel des Fastens ist es, dieses zu verringern. 
Der Gesandte Allahs (sallAllahu alayhi wa sallam) sagte: "Wie viele Fastende haben von ihrem Fasten nichts anderes außer Hunger und Durst". Dies wurde so erklärt, dass es sich um den handelt, der sein Fasten mit haram-Nahrung bricht, oder aber, der fastet, ohne sich vor Sünden zu schützen. 

5) Beim Fastenbrechen nicht so viel zu essen, dass man damit seinen Bauch füllt, denn der verhassteste Bauch bei Allah ist der, der voll ist mit erlaubter Nahrung, und wie soll man vom Fasten in Hinblick auf die Bezwingung des Feindes von Allah und dem Brechen seiner eigenen Gelüste profitieren, wenn man am Abend all das nachholt, was einem untertags entgangen ist, und vielleicht sogar noch zusätzliche Arten von Essen zu sich nimmt? Das geht bei manchen soweit, dass man bestimmte Arten von Essen extra für Ramadan bereithält und dann zum Fastenbrechen Dinge isst, die man die restlichen Monate nicht zu sich nimmt. 
Es ist bekannt, dass Fasten mit dem Ziel verbunden ist, seine inneren Neigungen durch Hunger zu brechen, und die Seele zu stärken, damit sie Taqwah erlangt. Wenn nun der Magen den ganzen Tag leer bleibt, bis der Appetit immer stärker wird, und dann am Abend alles bekommt, was er begehrt, bis er satt wird, dann werden diese Gelüste zweifellos stärker, vielleicht bis zu einem Punkt, dass Gelüste geweckt werden, die man nicht gespürt hätte, wenn man im gewohnten Lebensrhythmus geblieben wäre. 
Das Herz und das Geheimnis des Fastens ist es, jene Kräfte zu schwächen, welche die Instrumente von Shaytan sind, um den Menschen zum Schlechten zu bewegen, und diese Schwächung geschieht nur dann, wenn man das Essen reduziert, was bedeutet, dass man das isst, was man auch sonst in einer Nacht zu sich nehmen würde, in der man nicht fastet. Wenn man aber alles, was man normalerweise am Tag isst, sammelt und in der Nacht zu sich nimmt, dann hat man keinen Nutzen vom Fasten.
Es gehört zum guten Verhalten, dass man am Tag nicht viel schläft, damit man Hunger und Durst spürt und fühlt, wie die Kräfte weniger werden, um dadurch sein Herz zu reinigen. Man soll auch durch die Nacht hindurch etwas von dieser Schwäche aufrechterhalten, damit man leichter ist für das Tahajjud-Gebet und andere religiöse Praktiken (Awrad), und es ist zu wünschen, dass Shaytan damit keinen Einfluss auf das Herz mehr hat und man dadurch das Reich (Malakut) des Himmels empfinden kann. 
Laylat al-Qadr ist die Nacht, in der etwas von diesem Reich enthüllt wird, worauf der Vers deutet "Wahrlich, Wir haben ihn in Laylat al-Qadr herabgesendet". Wer aber zwischen sich und seinem Herzen eine Mauer von Essen gebaut hat, der wird dieses Reich nicht empfinden können. Seinen Bauch leer zu halten, ist zwar noch nicht ausreichend, um an dieser Enthüllung teilzuhaben, solange man seine innere Motivation nicht frei macht von allem außer Allah 'azza wa jall, und darum geht es letzlich -aber der erste Schritt dazu ist die Reduktion von Essen. Genaueres dazu werden wir im Kapitel über das Essen darlegen inshaAllah. 

6) Sein Herz nach dem Fastenbrechen in einem Zustand zwischen Angst und Hoffnung zu halten, weil man nicht wissen kann, ob das Fasten angenommen wurde und man sich dadurch Allah angenähert hat, oder ob es zurückgewiesen wurde, und man dadurch Zorn auf sich gezogen hat. In diesem Zustand sollte man sich nach jedem Gottesdienst befinden. 
al-Hassan bin ul-Hassan berichtete, dass er am Tag des Eid an einer Gruppe von Menschen vorbeiging, die miteinander lachten, und er sagte zu ihnen: "Allah hat den Monat Ramadan zu einem Stadion gemacht, in dem die Geschöpfe einander im Gehorsam zu überholen versuchen. Manche von ihnen sind vorne und haben gewonnen, andere sind zurückgeblieben und haben verloren. Wie kann man nur lachen und spielen an einem Tag, an dem die Vorderen gewonnen und die Hinteren verloren haben? Bei Allah, wenn der Vorhang gelüftet wäre, dann würden sich jene, die Gutes tun, mit ihrem Guten, und jene, die Schlechtes tun, mit ihrem Schlechten beschäftigen" - damit ist gemeint, dass die, deren gute Taten akzeptiert worden sind, sich nicht mehr mit Spielereien beschäftigen würden, und den Leuten, die Schlechtes tun, das Lachen vergehen würde.
Von al-Aḥnaf ibn Qais radiyAllahu anhu wird berichtet, dass Leute zu ihm sagten:  "Du bist ein alter Mann, und das Fasten schwächt dich". Er antwortete darauf: "Ich bereite den Proviant für einen langen Weg vor, und die Geduld im Ertragen des Gehorsams gegenüber Allah ist leichter als die Geduld im Ertragen Seiner Strafe."
Dies sind die inneren Bedeutungen des Fastens. 

Vielleicht wendest du jetzt ein: Die Gelehrten sagen, dass das Fasten dessen, der sich der beiden Gelüste des Bauches und der Geschlechtsorgane enthält, korrekt ist. 
Wisse: Die Gelehrten, die sich mit äußeren Handlungen beschäftigen (die Fuqahā') beschreiben die äußeren Bedingungen des Fastens mit den jeweiligen Beweisen, und diese sind schwächer als jene Beweise, die wir in diesem Kapitel angeführt haben, wie zum Beispiel das Verbot der üblen Nachrede. Die Aufgabe jener Gelehrten ist es, sich mit den Handlungen zu beschäftigen, die für die Allgemeinheit der Muslime - welche sich in innerer Gleichgültigkeit nur auf die Dunyā konzentrieren - zu befolgen sind.
Die Gelehrten des Jenseits aber meinen mit der Gültigkeit des Fastens auch die Akzeptanz (bei Allah), und mit dieser Akzeptanz meinen sie die Annäherung an das Ziel, und dieses Ziel ist in einem bestimmten Ausmaß die Eigenschaft der Unabhängigkeit von äußerer Nahrung zu erlangen, und in einem bestimmten Ausmaß eine Eigenschaft der Engeln - nämlich die Erhabenheit über Gelüste - zu erlangen. 
Der Mensch steht auf einer höheren Stufe als das Vieh, weil er mit dem Licht seines Geistes fähig ist, seine Lust zu bezwingen, und der Mensch steht gleichzeitig auf einer Stufe, die niedriger ist als die der Engeln, weil die Gelüste Macht über ihn haben und er damit geprüft wird, diese zu bezwingen. Jedes mal, wenn er sich ihnen ergibt, sinkt er auf die niedrigste aller Stufen, und ähnelt damit dem Vieh. Und jedes mal, wenn er sich seinen Gelüsten entgegenstellt, wird er auf die höchsten Stufen erhoben und wird zur Ebene der Engeln angenähert, denn die Engeln nähern sich Allah an, und wer ihnen nachahmt, und ihrem Benehmen folgt, der kommt Allah näher gemäß den Stufen ihrer Nähe, denn jemand, der dem Nahen nachahmt, wird selbst nahe kommen, denn Nähe hat nichts mit Orten, sondern mit Eigenschaften zu tun. 

Wenn dies also das Geheimnis des Fastens bei jenen ist, die wache Herzen haben, dann muss man sich fragen, warum man eine Mahlzeit zum Abend hin verschiebt und dann zwei Mahlzeiten zusammen verschlingt, und gleichzeitig allen anderen Gelüsten folgt, während man tagsüber hungrig bleibt. Wenn dies also der Inhalt des Fastens ist, was bedeutet dann die Aussage des Propheten sallAllahu alayhi wa sallam "Wie viele Fastende haben von ihrem Fasten nichts anderes als Hunger und Durst."
Ein Körnchen (an gottesdienstlichen Handlungen) von denen, die innere Gewissheit und Gottesfurcht haben, ist besser als Berge von Gottesdienst der Achtlosen und Gleichgültigen. 

Deshalb sagen die Gelehrten: Wie viele Fastende gelten als Nichtfastende, und wie viele Nichtfastende gelten als Fastende. 
Der fastende Nichtfastende ist derjenige, der sich vor äußeren Sünden schützt und gleichzeitig isst und trinkt (hier geht es um freiwilliges Fasten)
Der nichtfastende Fastende ist derjenige, der sich Hunger und Durst aussetzt und gleichzeitig sich selbst im Streben nach Sünden freien Lauf lässt. 
Wer den inneren Sinn des Fastens versteht, weiß folgendes: Jemand, der nicht isst und trinkt, aber sein Fasten im Streben nach Sünden bricht , ist so wie jemand, der seine Arme und Füße im Wudu drei mal überstreicht, und damit die äußere Form erfüllt -aber dabei das Wichtigste unterlassen hat, nämlich das Verwenden von Wasser - in diesem Fall ist sein Gebet aufgrund seiner Unwissenheit ungültig. Jemand, der zwar isst und trinkt, aber in Hinblick auf Sünden fastet, ist wie jemand, der seine Hände und Füße nur einmal wäscht - sein Gebet ist akzeptabel inshaAllah, weil der das Wichtigste erfüllt hat, und sei es auch bei gleichzeitiger Unterlassung des Besseren (nämlich der Erfüllung der Sunna).