Datum: 
17.12.2013
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Unser Lehnsherr und Meister ʿAlī ibn Abū Ṭālib k.w. sagte: „Die Welt vergeht und das Jenseits liegt vor uns, [sowohl die Welt als auch das Jenseits] haben Kinder, so sei ein Kind des Jenseits und nicht ein Kind dieser Welt; Denn heute gibt es Anstrengung ohne Rechenschaft, wohingegen es Morgen Rechenschaft ohne Anstrengung gibt!“ Die Vorstellung von „Entwicklung“ (tatawwur), „Fortschritt“ (taqaddum), „Erneuerung“ (taǧdīd) und „Renaissance“ (nahdah) wurden während der letzten Jahrzehnte von muslimischen Denkern, Politikern und Fachleuten benutzt. All diesen Wörtern, insbesondere dem Wort „Entwicklung“, haftet die Vorstellung an, sich von Prinzipien und Fundamenten wegzubewegen. Obgleich dies manchmal notwendig ist, um an Anwendungsmöglichkeiten anzusetzen, ist es allzeit wichtig, sich nie zu weit von ihnen zu entfernen, damit sie wirksam und folgenreich bleiben.

Unsere Vorfahren in der islamischen Tradition machten es sich zur Aufgabe, nicht nur die heiligen Texte der Botschaft so zu bewahren, wie sie offenbart wurden, sondern auch – ob nun bewusst oder unbewusst- die heilige Tradition in ihrer Generation bestmöglich zu bewahren; So stellten sie sicher, dass die nächste Generation eine Brücke zur Ersten hat. Die gesamte sunnitische Gelehrsamkeit arbeitete und bewegte sich auf diesem Weg und dies in ihrer gesamten Variation und Bandbreite an Disziplinen.

Man könnte sagen, dass es so viel „Fortschritt“ gab, wie die Methodologie und ihre Ausdrucksweise und Verbreitung aufeinanderfolgend, feingeschliffen und perfektioniert wurde. All diese Anstrengungen hielten jedoch stets den Kontakt mit den Ursprüngen, der Ära des Propheten und seiner Gefährten. Dies ist das Hauptvermächtnis der sunnitischen Tradition, einem Erbe dessen Empfänger und Hüter wir nun sind.

Leider erlitten wir jedoch eine Trennung und einen Bruch mit dieser Tradition. Heutzutage akzeptiert man den Korpus der primären, heiligen Literatur, den Koran, und die Ḥadīṯsammlungen. Das damit zusammenhängende Gedankengut und die Methodologie wird zurückgewiesen oder neu “interpretiert”, um ein „angemessenes“ Geschichtsverständnis zu erlangen. Diese Rückkehr zum Ursprung, die man grob als rein textliche Rückkehr definieren könnte, bedroht unsere Fähigkeit das prophetische Erbe, welches das sunnitische Vermächtnis darstellt, wirklich zu empfangen, zu bewahren und schlussendlich gar zu verkörpern, sowohl individuell als auch kollektiv.

Obgleich jene, welche eine reine Rückkehr zu „Koran und Sunna“ unterstützen, einen puritanischen „textgetreuen“ Ansatz wünschen und versichern, dass sie einen prophetischen Weg bieten, haben sie es lediglich nur geschafft, einen Riss in der muslimischen Gemeinschaft zu verursachen, welcher ihre Fähigkeit bedroht, wahrhaftig das prophetische Erbe aufzusaugen und sich mohammedanisch zu verändern. Islām, Imān und Iḥsān sind die Triade der Religion; Jedes ist für sich wichtig und gleichzeitig in den anderen gespiegelt. Niemand kann heilige Anbetung (Islām) haben, ohne in einem größeren Kosmos kontextualisiert zu sein (Imān), gleichzeitig kann man nichts anderes als wahrhaftige Erfahrung und Bewusstsein (Ihsān) haben, wenn man sich selbst in das normative, prophetische Vorbild gelegt hat, welches Dreh- und Angelpunkt der heiligen Anbetung ist. Die sunnitische Tradition war ein Ausdruck dafür, wie diese drei Dinge in jeder Generation weiterlebten, damit jedem, der sich danach sehnte, ein Zugang zur prophetischen Tradition garantiert sei. Es ist nun die Aufgabe unserer Generation, diese Tradition zu bewahren oder abzulehnen. Der unmittelbare Weg dies zu tun ist die Einrichtung und das Pflegen von Institutionen sowie das sich Kümmern um die Suchenden und Studierenden des heiligen Wissens, welche direkte Erben der prophetischen Hinterlassenschaft werden möchten. Nur wenn wir diese drei, Islām, Imān und Ihsān, pflegen und kultivieren, wird unsere Generation die prophetische Frucht unserer Vorfahren hervorbringen. Und natürlich sind diese Drei auch eine Vorbereitung für schlussendliche Entfaltung aller Dinge an welche SayyidunāʿAlī uns erinnert.

Scheich Naeem Abdulwali

Übersetzt von: Matthias B. Abū Ḏarr Schmidt