Datum: 
31.03.2015

FRAGE: Ich habe eine Frage über etwas, das Sie in zwei Ihrer Vorträge auf YouTube erwähnt haben. Der erste heißt „Deen and Culture: Conflict or Compromise“ und der andere „Steps to strengthen Aqida in times of doubt“. Sie führten aus, dass sich alle großen Gelehrten der Muslime darüber einig sind, dass jemand, der das Gebet nicht regelmäßig und systematisch verrichtet, diese Angelegenheit auf die leichte Schulter nimmt und sich nicht ernsthaft um das Gebet kümmert, ein Ungläubiger ist, und dies sogar nach den Hanafiten und Schafi‘iten. Stimmt dies so, und was bedeutet das? Warum sollte dann jemand, der 20 Jahre lang nicht gebetet hat, all die versäumten Gebete nachholen, wenn er sich durch seine Vernachlässigung ohnehin im Unglauben befand? Ich bitte um Klarstellung Ihres Standpunktes. Jazak Allah.

ANTWORT: Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen.

Möge Allah dich dafür belohnen, dass du mich auf dieses wichtige Thema aufmerksam gemacht hast. Mir scheint es (nachdem ich die von dir erwähnten Videovorträge durchgegangen bin), dass ich mich nicht verständlich ausgedrückt und vielleicht den falschen Eindruck hinterlassen habe. Ich bitte Allah darum, mir meinen Fehler zu vergeben.

Mein Verständnis des Problems ist dasselbe wie das der großen Mehrheit der klassischen und zeitgenössischen islamischen Gelehrsamkeit, nämlich dass ein Muslim nur dann Unglauben (Kufr) begeht, wenn er das Gebet aus Ablehnung der Pflicht (Istihlal/Juhud) unterlässt, oder aus Geringschätzung und Missachtung (Istikhfaf). Alle vier Rechtsschulen sind sich darin einig, dass solch eine Person den Rahmen des Islams verlässt, und nach den Hanafiten und Malikiten müssen versäumte Gebete, wenn die Person erneut Muslim wird, nicht nachgeholt werden. Nach den Shafi‘iten müsste diese Person die Gebete im Sinne einer disziplinarischen Maßnahme nachholen.

Was das Versäumen des Gebets aufgrund von Faulheit (Kasl) betrifft, so führt dies, selbst wenn dies fortwährend der Fall ist, gemäß der Mehrheit der großen Gelehrten nicht zum Unglauben, solange man an die Pflicht des Gebets glaubt und sie nicht geringschätzt oder verachtet. Solch eine Person muss alle versäumten Gebete nachholen. Ja, es gibt unter den Hanbaliten die Position, dass solch eine Person vom Glauben abfällt und als Abtrünniger (Murtad) vom Islam gehandhabt wird. (Siehe al-Majmu‘, al-Mughni, Fath al-Qadir, al-Bahr al-Ra'iq und andere Rechtsquellen)

In meinen Vorträgen habe ich die arabischen Wörter Istihlal (das Leugnen der Pflicht des Gebets) und insbesondere Istikhfaf (Geringschätzung) verwendet, und versäumt, dies näher zu erklären.

Geringschätzung bedeutet Mangel an Respekt, auf etwas oder jemanden herabzusehen und zu meinen, etwas oder jemand sei es nicht wert, beachtet oder respektiert zu werden. Das ist es, was ich meinte, als ich in den besagten Vorträgen darüber sprach, „die Angelegenheit auf die leichte Schulter zu nehmen und sich nicht darum zu kümmern“.

Die meisten Leute, die das Gebet vernachlässigen, auch auf längere Zeit, tun dies aus Faulheit heraus und nicht aus Geringschätzung. Darum beinhaltet ihr Verhalten kein Istikhfaf (Geringschätzung) und sie bleiben Muslime, alhamdulillah.

Es mag jedoch auch einige geben, die das Gebet tatsächlich aus Geringschätzung heraus vernachlässigen und der Meinung sind, das Gebet sei nicht wichtig. Sie verrichten jahrelang kein einziges Gebet, nicht einmal das Freitagsgebet (und andere verrichten in ihrem ganzen Leben kein einziges Gebet!), und wenn man sie daran erinnert, lachen sie darüber oder blenden die Wichtigkeit davon leichtfertig aus. Ich selbst traf eine Person, die der Meinung war, dass Frieden in der Welt zu schaffen, moralisch zu sein und sich zu engagieren viel wichtiger seien als das Gebet. Jemand anderes sagte, er glaube nicht, dass Allah ihn für das Nichteinhalten der Gebete zur Rechenschaft ziehen würde, so lange er die Gefühle von anderen Menschen nicht verletzt und ab und zu das Festtags- oder das Freitagsgebet verrichtet.

Damit ist nicht gemeint, dass es nun an uns liegt, über andere zu urteilen oder das Schlechteste von ihnen zu denken; Wir sollten weiterhin eine gute Meinung über sie haben und davon ausgehen, dass sie das Gebet aus Faulheit heraus vernachlässigen, so lange es kein offensichtliches Zugeständnis ihrerseits gibt. Mein Vortrag war dazu gedacht, davor zu warnen, solche Richtungen einzuschlagen und nicht über Gläubige zu urteilen und sie als Ungläubige einzustufen.

Möge Allah uns alle fest im Glauben machen, Amin.

[Mufti] Muhammad Ibn Adam

Darul Iftaa

Leicester, UK

 

Originalquelle: http://www.daruliftaa.com/node/6724?txt_QuestionID=